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Frontansicht von Schloss Mickeln

Forum Versicherungsrecht am 28.09.2022: Financial Lines

Das dritte Forum Versicherungsrecht des Jahres 2022 wurde am 28. September in hybrider Form ausgerichtet. Insgesamt waren 150 Teilnehmende, davon 75 in Präsenz im Haus der Universität und 75 online via Zoom, anwesend. Die Referierenden Michael Kneist, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, und Marcel Armon MBA, FCII, Geschäftsführer der Aon Holding Deutschland GmbH, beschäftigten sich mit rechtlichen Fragestellungen, Problemen und Entwicklungen von Financial Lines-Versicherungen.

 

Kneist begann mit seinem Vortrag „Die ordentliche Gerichtsbarkeit in Financial-Lines-Versicherungen am Beispiel des OLG Düsseldorf“, in welchem er als Vorsitzender Richter des Versicherungssenats des Düsseldorfer Oberlandesgerichts vertieft auf die von ihm mitgeprägte Rechtsprechung einging. Hierbei zeigte er auf, dass seit 2004 über 40 Fälle aus dem Bereich Financial Lines-Versicherungen, davon 26 zur D&O-Versicherung, vom OLG Düsseldorf entschieden wurden. Kneist erläuterte, dass Streitigkeiten über Versicherungen aus dem Bereich Financial Lines vor 2004 ausschließlich vor Schiedsgerichten geführt worden seien, heute jedoch zunehmend vor ordentlichen Gerichten stattfänden. Der erste D&O-Fall vor dem OLG Düsseldorf (Urteil vom 23.8.2005 ­ I-4 U 140/04), der sog. „Comroad-Fall“, wurde 2005 verhandelt. Hier beschloss der vierte Zivilsenat, dass bei einer Arglistanfechtung des Versicherers der Versicherungsschutz nicht nur für die täuschende Person, sondern vielmehr für alle versicherten Personen entfalle.

Weiterhin befasste sich Kneist mit einem stark umstrittenen Urteil des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 2013 (Urteil vom 12.7.2013 ­ I-4 U 149/11). Im Schwerpunkt ging es um die Frage, ob das mitversicherte Tochterunternehmen einer D&O-Versicherungsnehmerin „Dritte“ i.S.d. § 108 Abs. 2 VVG sei und inwieweit eine ernst gemeinte schriftliche Inanspruchnahme der versicherten Person vorläge oder das Tochterunternehmen allein auf die Versicherungssumme abziele. Der Senat entschied, dass das Tochterunternehmen in dem zugrundeliegenden Sachverhalt die versicherte Person nicht ernsthaft in Anspruch genommen habe. Dieses Ergebnis wurde laut Kneist stark diskutiert; hatte letztendlich vor dem BGH (Urteil vom 13.4.2016 ­ IV ZR 304/13) jedoch keinen Bestand. Der BGH entschied im Rahmen der Revision, dass auch die Versicherungsnehmer geschädigte „Dritte“ i.S.d. § 108 Abs. 2 VVG sein könnten und es nach den geprüften Bedingungen nur einer schriftlichen und keiner ernsthaften Inanspruchnahme für den Eintritt des Versicherungsfalls bedürfe.

Im Zuge der Besprechung des Urteils vom 20.7.2018 ­ I-4 U 93/16 warf Kneist auf, dass das dortige Problem mit dem versicherungsrechtlichen Umgang von „Strohfrauen“ keine Seltenheit sei und vor Gericht regelmäßig diskutiert werde. Außerdem besprach er zwei Urteile (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.7.2018 – I-4 U 93/16 und OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.6.2020 ­ I-4 U 134/18), in denen es unter anderem um die rechtliche Bewertung des mittlerweile weggefallenen § 64 GmbHG ging. Zuletzt erläuterte Kneist, dass Streitigkeiten über Unternehmens-Strafrechtsschutzversicherungen erst seit relativ kurzer Zeit am OLG Düsseldorf angelangt seien, es aber bereits drei solcher, teils noch laufender, Verfahren gäbe und sich ein zunehmender Trend für Streitigkeiten über Unternehmens-Strafrechtsschutzversicherungen erblicken lasse.

Anschließend beleuchtete Armon die Urteile des OLG Düsseldorf sowie die allgemeine Thematik der Financial Lines in seiner Funktion als Versicherungsmakler aus einem neuen Blickwinkel. Insbesondere da Versicherungsmakler maßgeblich die Allgemeinen Versicherungsbedingungen formen würden, gab Armon an, dass Urteile aus dem Themenkomplex Financial Lines große Auswirkungen auf seinen Berufsalltag hätten. Während Gerichte Einzelfallentscheidungen träfen, würden Makler versuchen, für alle Vertragsparteien die besten Klauseln zu schaffen um bestenfalls langwierige Gerichtsprozesse, welche zwei bis fünf Jahre dauerten, zu umgehen.

Zudem thematisierte Armon die Organhaftung und deren gesetzlichen Grundlagen. Dabei ging er zunächst darauf ein, dass die Haftungssituation bei der Organhaftung sehr komplex sei. Da Organe persönlich haften, könne es vorkommen, dass aufgrund der langen Verjährungsfrist der Schadensersatzansprüche Geschäftsführer in Anspruch genommen würden, die im Zeitpunkt der Inanspruchnahme bereits nicht mehr im Unternehmen tätig seien. Dazu träfe die Geschäftsleitung eine schwierige, fast schon unmögliche Beweisführungssituation: Aufgrund der Beweislastumkehr im Innenverhältnis läge es am Geschäftsführer, die ihn entlastenden Unterlagen zusammenzutragen. Dies sei in der Realität jedoch häufig nicht ohne weiteres möglich, da die Geschäftsleitung im Zeitpunkt der Inanspruchnahme keinen Zugriff mehr zu den relevanten Unterlagen habe. Bezüglich der gesetzlichen Grundlagen der Sorgfaltspflicht erläuterte Armon, dass es im Ergebnis immer um die klassischen Themen des Auswahl-, Anweisungs- und Überwachungsverschuldens gehe und fasste dies wie folgt zusammen: „Wer entscheidet, haftet.“. In diesem Zuge wies er darauf hin, dass es früher noch undenkbar gewesen sei, dass Vorstände gerichtlich statt firmenintern für Pflichtverletzungen in Anspruch genommen würden.

Im Rahmen seines zweiten Themenkomplexes „D&O-Versicherung und Schutz“ ging Armon auf das Dreipersonenverhältnis einer D&O-Versicherung ein und erläuterte, dass diese Konstellation Herausforderungen mit sich brächte, da die versicherte Person im Versicherungsfall auf der Gegenseite der Versicherungsnehmerin stehe, die wiederum Vertragspartnerin des Versicherers sei. Das mache eine Zusammenarbeit häufig unmöglich. Weiterhin gab er zu bedenken, dass es heute immer noch gängig sei, bei Einstellungen nicht über einen Haftungsausschluss zu sprechen. Allerdings werde mehr über D&O-Versicherungen verhandelt, wobei der Geschäftsleitung regelmäßig keine Kopie des Vertrages ausgeteilt werde.

Zuletzt gab Armon einen Einblick in den aktuellen D&O-Versicherungsmarkt. Aufgrund steigender Schadensquoten verbunden mit Marktreaktionen, wie Kapazitätsreduktionen und zusätzlichen äußeren Faktoren, wie der COVID-19-Pandemie und Skandalen (z.B. Wirecard) sei der D&O-Versicherungsmarkt nicht mehr gewachsen. Das habe zur Folge, dass es oft nicht mehr nur einen Versicherer gäbe, sondern ein Geflecht aus verschiedenen (Mit-) Versicherungen mehrerer Versicherer beständen. Zudem gäbe es heute noch mehr Aspekte die vor der Vermittlung einer D&O-Versicherung berücksichtigt werden müssten, wodurch sich die Bearbeitungszeit auf ein dreifaches erhöhe. Als mögliche Lösung der aktuellen Situation schlug Armon einen Renewal-Prozess vor (Cancel & Rewrite), bei welchem alte Verträge gekündigt würden, um die Nachmeldefrist auszulösen. Dies würde jedoch nur funktionieren, sofern die Versicherer durch vertragliche Vereinbarung eine „Rückwärtsdeckung“ anbieten würden.

Es schlossen sich rege und lebhafte Diskussionen an die Vorträge an.

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