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Forum Versicherungsrecht am 27.06.2022: Naturkatastrophen und Versicherbarkeit von Elementarrisiken

Das zweite Forum Versicherungsrecht des Jahres 2022 fand am 27. Juni vor 65 Teilnehmern in der O.A.S.E. statt. Es handelte sich um die erste Veranstaltung seit März 2020, welche das Institut für Versicherungsrecht wieder ausschließlich in Präsenz ausrichten konnte. Herr Dr. Matthias Klawa, Meteorologe und Spezialist für Naturgefahren bei der Deutschen Rück AG, Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther von der Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und des Instituts für Versicherungswesen an der TH Köln und Dr. Andreas Christians, Ministerialdirigent und Leiter der Abteilung  - Öffentliches Recht und Zivilrecht, Internationales – im Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen referierten zu dem Thema „Naturkatastrophen und Versicherbarkeit von Elementarrisiken“.

Klawa begann mit seinem Vortrag „Auswirkungen des Klimawandels auf die Versicherungswirtschaft“, welcher sich primär mit den naturwissenschaftlichen Aspekten des Themenkomplexes beschäftigte. Er wies zu Beginn allgemein auf die Existenz des menschengemachten Klimawandels hin und mahnte, dass abhängig von verschiedenen Emissionsszenarien bis 2100 eine globale Erwärmung von bis zu 5 Grad möglich sei. Als Effekte auf das globale Ökosystem benannte er unter anderem den Rückgang der Eisbedeckung in der Arktis und den Meeresspiegelanstieg. Gleichzeitig erwähnte Klawa jedoch auch ausdrücklich die Möglichkeit, eine CO2-neutrale Wirtschaft zu schaffen, indem rechtzeitig strenge Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen vorgenommen würden. Zudem könne dadurch die Erderwärmung bis 2050 auf 2 Grad begrenzt werden.

Danach untersuchte der Referent die Auswirkungen des Klimawandels auf Versicherungsunternehmen. Er hob hierbei das sog. Transitionsrisiko für Versicherer hervor, welches sich durch Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft ergeben könne. Als Beispiele nannte Klawa einschneidende politische Maßnahmen im Rahmen einer strengeren Klimapolitik oder verändertes Verbraucherverhalten aufgrund des Klimawandels, welche im Ergebnis zu finanziellen Mehrkosten für Unternehmen führen würden.

Letztlich ging er auf Klimaszenarien ein, welche Einfluss auf verschiedene Versicherungsarten haben. Im Hinblick auf die Sturmversicherung stellte KIawa fest, dass in Deutschland gegenwärtig keine Zunahme von Sturmschäden im Zusammenhang mit Winterstürmen zu beobachten und auch in der Zukunft kein signifikanter Anstieg zu erwarten sei. Bei Sommerstürmen hingegen sei trotz weniger Studien eine deutliche Zunahme von Unwetterlagen in der Zukunft absehbar. Bis 2100 können insofern 40 bis 120 % mehr solcher Ereignisse stattfinden. Hinsichtlich der erweiterten Elementarversicherung trug der Referent vor, dass gegenwärtig eine starke Zunahme von Überschwemmungen seit 2002 zu beobachten und in Zukunft ebenfalls deutlich erhöhte Schadenbilder durch Hochwasser oder Flut zu erwarten seien. Die Studienlage gelte in diesem Bereich als gesichert. Aufgrund dieser Erkenntnisse kommt Klawa zu dem Ergebnis, dass sich der Fokus des Versicherungsmarkts allmählich von der Sturm- zu der Elementarversicherung verschieben würde. Hochwasser und Flut könnten insofern neues Hauptrisiko für Versicherer werden.

Im Anschluss ging Günther im Rahmen seines Vortrags „Klimaerwärmung und Elementarschadenversicherung“ auf verschiedene rechtliche Gesichtspunkte ein. Zu Beginn setzte er sich mit möglichen Problemen des Nichtbestehens einer Elementarversicherung auseinander. Anzudenken sei hierbei ein Beratungsverschulden des Versicherers bei Neuabschluss des Versicherungsvertrages gem. § 6 I VVG oder bei laufendem Vertrag gem. § 6 IV VVG. Das LG Bochum hatte eine Verletzung der Beratungspflicht in einem solchen Fall mit dem Argument abgelehnt, der Versicherungsnehmer müsse seinen Versicherungsbedarf im Ausgangspunkt selbst feststellen. Günther hielt diese Ansicht im Ergebnis für zu streng.

Ferner thematisierte er mögliche Schadensersatzansprüche gegen die öffentliche Hand. Typischer Anwendungsfall sei die Verletzung von Warn- oder Hinweispflichten durch verspätete Warnung bzw. Information. Der Referent stellte solchen Ansprüchen insgesamt wenig Hoffnung in Aussicht, da eine frühere Warnung wohl nicht ausschlaggebend für die Entstehung bzw. das Ausmaß des Schadens sei. Es bestünden insofern erhebliche Kausalitätsprobleme. Ausschlaggebend seien solche Pflichtverletzungen eher bei der Hausrat- bzw. Kaskoversicherung, so Günther.

Zuletzt ging er auf die Vor- und Nachteile einer Elementarschadenversicherung als Pflichtversicherung ein. Für eine solche würde der fortschreitende Klimawandel sprechen, welcher der Hauptgrund dafür sei, dass die praktische Relevanz von Elementarschäden zunehme. Ferner monierte Günther die niedrige Versicherungsdichte von 46 %, obwohl laut GDV 99 % der Gebäude versicherbar seien. Er folgerte daraus, dass Freiwilligkeit als Lösung bislang versagt habe. Zudem wurden die Betroffenen nach Katastrophen bislang staatlich entschädigt, weswegen der Druck zum Abschluss einer Elementarschadenversicherung erheblich gesunken sei. Eine Pflichtversicherung würde dafür sorgen, dass die Betroffenen nicht weiterhin auf den „good will“ des Staates angewiesen seien und dieser wiederum nicht mehr einspringen müsse. Gegen eine Pflichtversicherung spreche allerdings, dass eine Vereinbarkeit mit Grundgesetz und EU-Recht Zweifeln unterliegt. Des Weiteren würden nicht gefährdete Versicherungsnehmer Personen in gefährdeten Bereichen subventionieren, wobei eine solche Umsetzung in der Praxis allgemein fraglich sei. Günther ließ letztlich offen, ob er die Einführung einer Elementarschadenversicherung als Pflichtversicherung befürwortet.

Abschließend referierte Christians im Rahmen eines Kurzreferats zu dem Thema „Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Pflichtversicherung für Elementarschäden“. Hierbei begann er mit dem Hinweis, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppen bislang die Verfassungsmäßigkeit durch enge Auslegung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Pflege-Pflichtversicherung beurteilten (BVerfG, Urt. V. 03.04.2001, 1 BvR 2014/95). Die Arbeitsgruppe 2022 verfolge nun aber einen neuen Ansatz, da sich das Bundesverfassungsgericht in dem genannten Urteil auf den besonderen Fall der Pflegeversicherung bezieht und die Ausführungen insofern nicht unmittelbar auf eine eigensichernde Pflichtversicherung anwendbar seien. Nach Christians sei die Prüfung daher anhand der allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben vorzunehmen, also insbesondere nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ausschlaggebend sei daher das Vorliegen eines legitimen Zwecks, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit. Der Referent betont hierbei die besondere Begründungsbedürftigkeit einer selbstschützenden Pflichtversicherung und stellte den legitimen Zweck als Problemschwerpunkt der Prüfung heraus. Als mögliche Zwecke wurden in diesem Zusammenhang die Erhöhung der Versicherungsquote, Existenzsicherung und die Erhaltung des Wohngebäudebestands vorgeschlagen. Im Ergebnis ist Christians der Ansicht, dass die Verfassung dem Gesetzgeber wohl genügend Spielräume für eine gesetzliche Elementarschaden-Pflichtversicherung geben würde. Auch die Justizministerinnen und Justizminister halten eine solche Pflichtversicherung im Beschluss der Frühjahrs-Konferenz 2022 für verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Ob die damit angestrebten Zwecke damit allerdings umfassend erreicht werden können, bliebe laut Christians vorerst offen.

Es schlossen sich rege und lebhafte Diskussionen an die Vorträge an.

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