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Frontansicht des Oberlandesgericht Düsseldorf

10. Düsseldorfer Verkehrsrechtsforum

Am 25. Juni 2021 fand das 10. Düsseldorfer Verkehrsrechtsforum online über die Plattform Zoom statt. Thema der diesjährigen Vorträge war „Moderne Mobilität“.

Der Vorsitzende Richter des 1. Zivilsenats am Oberlandesgericht Düsseldorf, Hans-Günter Ernst, eröffnete die Veranstaltung mit rund 115 Teilnehmenden mit seinem Vortrag zu den aktuellen Entwicklungen der Rechtsprechung im Verkehrsunfallrecht, wobei er insbesondere zwei Urteile zum Personenschaden hervorhob. So habe der Senat entschieden (Az.: I-1 U 152/20), dass Schmerzensgeldforderungen wegen unvorhersehbarer Unfallfolgen, wie der Chronifizierung einer unfallbedingten psychischen Erkrankung, die nach Rechtskraft eines Urteils eintrete, nicht geltend gemacht werden können. Ernst betonte dabei die Neuheit, dass nicht mehr die prozentuale Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Unfallfolge herangezogen werde, um zu beurteilen, ob solche Verletzungsfolgen im ersten Vorprozess schon bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden könnten. Vielmehr sei notwendig, dass der Geschädigte die Möglichkeit erhalte, ein bestehendes Risiko bereits zu diesem Zeitpunkt schmerzensgelderhöhend geltend zu machen. Die zweite betonte Entscheidung (Az.: I-1 U 38/20) befasste sich mit der Schätzung des Haushaltsführungsschadens bei wechselnden Verhältnissen. Dazu würden regelmäßig die mittleren Bruttogehälter des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst des Bundes (TVöD) herangezogen. Wichtig war Ernst dabei vor allem, dass Beträge des TVöD nur als Ausgangswerte dienen könnten. Im Schadensfall sei auch die anfallende Haushaltstätigkeit an Wochenenden, Feiertagen und in Urlaubszeiten zu vergüten, die das Bruttogehalt nach TVöD nicht erfasse. Daher sei der Bruttostundensatz nach TVöD mit einem gewissen Zuschlag zu versehen, der je nach den gegebenen Umständen bei etwa 20 % angesetzt werden könne.

Nach einer kurzen Pause befasste sich PD Dr. Andreas Dieckmann von der Leibniz Universität Hannover mit zivilrechtlichen Haftungsfragen bei automatisierten Fahrfunktionen. Zunächst definierte Dieckmann den Begriff der automatisierten Fahrfunktion nach den Maßstäben der SAE International („Society of Automotive Engineers“). Sie lasse sich in insgesamt 6 Level (0-6) einteilen, wobei sich die in Deutschland relevanten §§ 1a, 1b StVG auf Level 3 und 4, die Hoch- und Vollautomatisierung, beziehen würden. Im Unterschied zur Hochautomatisierung (Level 3), müsse der Fahrer bei der Vollautomatisierung (Level 4) nicht mehr dauerhaft überwachen und gegebenenfalls eingreifen. Daraufhin stellte Dieckmann heraus, dass sich die verschuldensunabhängige Betriebsgefahrhaftung aus § 7 I StVG in voll- oder hochautomatisierten Fahrzeugen kaum ändere. Allerdings halte er eine teleologische Reduktion des § 12 StVG für geboten, der als Kompensation für den Ausfall der Fahrerhaftung den Höchstbetrag pauschal verdoppele. Dies könne nur greifen, wenn der Unfallschaden allein auf einem Systemfehler beruhe, wodurch eine Fahrerhaftung vollständig entfalle. Dafür spreche auch, dass sich die Betriebsgefahr durch autonomes Fahren gerade nicht erhöhe, sondern vielmehr verringere. Zur Fahrerhaftung aus § 18 I StVG betonte er das Problem der Verschuldensvermutung bei einem Unfallgeschehen durch die Fahrfunktion, wenn der Fahrer noch jederzeit in das Fahrgeschehen hätte eingreifen können. Nach § 1b I StVG dürfe sich ein Fahrer eines autonomen Fahrzeugs zwar vom Verkehrsgeschehen abwenden, diese Freiheit sei aber durch eine Übernahme – und Überwachungspflicht eingeschränkt. Im Fazit stellte Dieckmann fest, dass durch autonomes Fahren die Fahrerhaftung wegfallen und dadurch die Herstellerhaftung mehr an Bedeutung gewinnen werde, vor allem im Innenverhältnis zum Fahrzeughalter.

Anschließend sprach Bernd Huppertz, Erster Hauptkommissar und Dozent an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Köln nach einer mit aktuellen Statistiken untermauerten Einführung, über „Rechtsfragen bei der Verwendung von e-Tretrollern“ aus der Perspektive der Polizei. Er betonte dabei, dass die e-Tretroller mangels Sitzes nicht unter die europäische Typgenehmigungsverordnung VO (EU) 168/2013 fielen und deshalb die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) geschaffen wurde. Erfüllten e-Tretroller nicht die Voraussetzungen der eKFV, richte sich ihre Zulassung nach der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) und die Fahrerlaubnispflicht nach der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Die e-Tretroller, welche nicht der eKFV entsprechen, seien nach der FeV fahrerlaubnispflichtig und mangels Anwendbarkeit der VO (EU) 168/2013 nicht einmal Fahrzeuge der Klasse A, sondern der Klasse B. Eine richtige Klassifizierung der e-Tretroller durch die Rechtsanwender sei damit unerlässlich, um ihren rechtmäßigen Benutzungsrahmen bestimmen zu können. Das Parken von e-Tretrollern sei zwar wie das Abstellen von Fahrrädern unter Beachtung des § 1 II StVO auf Gehwegen möglich, die einzelnen Städte strebten aber auf eine engere Regulierung hin. Bei der Frage, ob die Nutzung öffentlicher Straßen durch das Abstellen von Miet-e-Tretrollern Sondernutzung sei, verwies Huppertz auf den Beschluss des OVG Münster vom 20.11.2020 (NJW 2020, 3797). Dort wurde bei Mietfahrrädern eine Sondernutzung angenommen. Das Abstellen des Mobilitätsmittels diene bei dem Geschäftsmodell des „free floating“ nämlich nicht vorwiegend dem Zweck der späteren Wiederinbetriebnahme, sondern vielmehr dem Abschluss eines erneuten Mietvertrages.

Es folgte eine Pause, in der sich die Teilnehmer in kleineren Gruppen austauschen konnten.   

Anschließend behandelte Dr. Martin Stadler, Leiter Versicherungsrecht, Regulatorik und Governance bei der Allianz Versicherungs-AG die „Neue Mobilität aus versicherungsrechtlicher Sicht“. Sein Vortrag behandelte die stufenweise Fahrzeugautomatisierung und stellte die neuen technischen Möglichkeiten den neuen Mobilitätsrisiken entgegen. Stadler hob hervor, dass es mit zunehmenden automatisierten Fahrleistungen des hochtechnisierten Autos zwar zu weniger Schäden kommen werde, die einzelnen Schäden aber mit höheren Kosten verbunden seien. Aus Sicht einer Versicherung sei es essentiell, dass der Hergang von Unfällen aufklärbar bleibe. So sei es wichtig, dass es sich regelmäßig rekonstruieren lassen werde, inwieweit ein Unfall durch automatisierte oder durch menschliche Fahrleistungen verursacht worden sei. Zwar sei gesetzlich geregelt, welche Daten gespeichert werden müssten und wer einen Anspruch auf Zugang zu diesen Daten habe. Wie die Berechtigten aber an diese Daten gelangten, sei noch immer ungeklärt. Stadler verwies auf eine von der Allianz erhobene und vom TÜV und dem ADAC unterstützte Forderung, dafür einen unabhängigen Datentreuhänder als Schnittstelle zu implementieren. Ein Anlass, das deutsche Haftungssystem zu ändern, bestehe indes nicht. Die Gefährdungshaftung des § 7 StVG schütze den Geschädigten unabhängig davon, ob der Fehler beim Fahrer oder im Fahrzeug liege und sei deshalb die ideale rechtliche Basis für eine stufenweise Fahrzeugautomatisierung. In Verbindung mit der Pflichtversicherung gewährleiste das Haftungssystem damit weiterhin eine einfach zu realisierende Forderung für den Geschädigten. Stadler verdeutlichte schließlich, dass Deckungslücken bezüglich des Versicherungsschutzes bei Elektrofahrzeugen nicht zu befürchten seien.

Wie gewohnt kam es nach den jeweiligen Vorträgen zu einem regen Austausch von Anmerkungen und Ideen zwischen Teilnehmern und Referenten.

Die Vorträge der Veranstaltung werden in einem Tagungsband veröffentlicht, der in der Düsseldorfer Reihe des Verlags Versicherungswirtschaft erscheinen wird.

Weitere Informationen und Unterlagen zur Veranstaltung sind hier verlinkt.

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