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Forum Versicherungsrecht am 15.06.2023: Gruppenversicherung

Das zweite Forum Versicherungsrecht des Jahres 2023 fand am 15. Juni als Hybridveranstaltung im Haus der Universität vor rund 110 Teilnehmenden statt.

Die Vortragsunterlagen finden Sie hier:

Kammerer-Galahn, Gruppenversicherung – aktuelle Einordnung durch die Gerichte

Armbrüster, Aktuelles von Aufsicht und EuGH zum Gruppenversicherungsvertrag - Sicht der Wissenschaft

Weitere Informationen können Sie unserem Flyer entnehmen.

Dr. Gunbritt Kammerer-Galahn, Rechtsanwältin und Partnerin bei Taylor Wessing PartG mbB, Düsseldorf und Prof. Dr. Christian Armbrüster, Professur für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Privatversicherungsrecht und Internationales Privatrecht, Freie Universität Berlin beleuchteten das Thema „Gruppenversicherung“ sowohl aus praktischer als auch akademischer Sicht und setzten sich insbesondere mit einem Urteil des EuGH zum Gruppenversicherungsvertrag (EuGH, Urteil vom 29.09.2022 – C-633/20) auseinander.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Prof. Dr. Lothar Michael begann Kammerer-Galahn mit ihrem Vortrag „Gruppenversicherung – aktuelle Einordnung durch die Gerichte“. Zunächst erläuterte sie den Begriff „Gruppenversicherung“, bei der eine Personengruppe in einem gemeinsamen Versicherungsvertrag gegen ein bestimmtes Risiko versichert werde. Es handele sich hierbei um ein „dreiseitiges Versicherungsverhältnis“, da die Gruppenspitze eine Prämie an den Versicherer für die versicherten Personen zahle und wiederum Aufwendungsersatz von den versicherten Personen erhalte. Vorteile einer Gruppenversicherung lägen vor allem darin, dass der Versicherer statt einer Vielzahl von Einzelpolicen lediglich eine Gruppenversicherungs-Police ausstellen müsse und es dadurch zu Kosteneinsparungen käme, die der Versicherer in Form von Sonderkonditionen an die versicherten Personen weitergeben könne.

Daraufhin nahm Kammerer-Galahn eine historische Einordnung vor. So habe der BGH schon 1985 festgestellt, dass ein Versicherungsvermittler nicht zugleich ein Versicherungsnehmer oder Versicherer sein könne und zwischen ihm und dem Versicherungsnehmer ein gesetzliches Treuhandverhältnis bestehe (BGH, Urteil vom 22.05.1985 – IVa ZR 190/83). Zudem sei ein Gruppenversicherungsvertrag sowohl von einer Rahmenvereinbarung als auch von einem Vertrag zugunsten Dritter abzugrenzen.

Die BaFin sei in einem aktuellen Rundschreiben (Rundschreiben 03/2021 (VA) – Hinweise zu echten Gruppenversicherungsverträgen) von vorherigen Rundschreiben abgewichen und habe klargestellt, dass eine dauerhafte Vertragsbeziehung zwischen Gruppenspitze und versicherten Personen entbehrlich und Pflichtversicherungen im Gruppenversicherungsvertrag nur bei gesetzlich geregelten Ausnahmen zulässig seien. Zudem bestehe eine Pflicht für den Versicherer sicherzustellen, dass die Vertriebsvergütung nicht mit der Pflicht kollidiere, im bestmöglichen Interesse des Kunden zu handeln.

Ferner befasste sich Kammerer-Galahn mit dem oben genannten Urteil des EuGH zum Gruppenversicherungsvertrag. Danach sei die IDD so auszulegen, dass unter dem Begriff „Versicherungsvermittler“ jede juristische Person falle, die eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihr abgeschlossenen Gruppenversicherung anbiete und dafür eine Vergütung ihrer Kunden erhalte. Zwar sei die Person des „Versicherungsvermittlers“ nicht vom Wortlaut der IMD und IDD erfasst; es seien daher auf den Kontext und die Ziele der entsprechenden Regelungen abzustellen. Dabei schließe die Stellung als Versicherungsnehmer diejenige als Versicherungsvermittler nicht aus, da das Merkmal der Vergütung durch Zahlung des Entgelts erfüllt sei.

Zuletzt ging Kammerer-Galahn auf die Auswirkungen auf die Praxis ein. Problematisch sei vor allem, dass Gruppenspitzen, die gegen Entgelt freiwillige Beitritte vermitteln, von § 34 GewO erfasst seien und daher grundsätzlich eine Erlaubnis benötigen, an die strenge Voraussetzungen – insbesondere Informations- und Beratungspflichten – geknüpft seien. Ein Verstoß könne grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit begründen; bei beharrlicher Wiederholung sogar eine Straftat darstellen. Jedenfalls bestehe das Risiko der Inanspruchnahme auf Schadensersatz durch die versicherte Person.

In Anschluss referierte Armbrüster zu dem Thema „Aktuelles von Aufsicht und EuGH zum Gruppenversicherungsvertrag – Sicht der Wissenschaft“. Dabei ging er zunächst auf offene Rechtsfragen ein und problematisierte Anwendungsfragen im deutschen Recht bezüglich der Vermittlerpflichten und der Anwendbarkeit der OWiG-Vorschriften. Insbesondere für vorvertragliche Informationspflichten des Versicherungsvermittlers komme weder eine richtlinienkonforme Auslegung des § 7 Abs. 1 VVG noch eine richtlinienkonforme Extension des § 7d S. 1 VVG in Betracht. Eine Ahndung der Gruppenspitze bzw. des Versicherers für Zusammenarbeit mit der Gruppenspitze könne nach GewO-Vorschriften aufgrund des verfassungsrechtlichen Analogieverbots des Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossen werden. Es bedürfe daher dem Tätigwerden des Gesetzgebers.

Schwerpunktmäßig thematisierte Armbrüster Auslegungsfragen im Kontext des oben genannten EuGH-Urteils und befasste sich insbesondere mit dem Vergütungsbegriff und den Anforderungen an die Freiwilligkeit des Beitritts. Der Vergütungsbegriff der IDD, deren Schutzzweck bei divergierenden Interessen von Gruppenspitze und Gruppenmitgliedern einschlägig sei, sei sehr weit gefasst. So sei ein eigenes wirtschaftliches Interesse der Gruppenspitze, das in Bezug zu dem den Versicherungsschutz beinhalteten Produkt steht, bei der Tätigkeit gegen die Vergütung erforderlich. Abgrenzungsschwierigkeiten beim Vergütungsbegriff ergäben sich bei Fällen, in denen die Gruppenspitze mittelbare oder nichtkommerzielle Interessen bei der Tätigkeit verfolge. Hierbei sei zwischen Haupt- und Nebenzweck der Tätigkeit zu differenzieren, wobei bei einer nichtkommerziellen, ggf. allgemeinnützigen Gruppenspitze grundsätzlich keine Tätigkeit gegen Vergütung anzunehmen sei.

Nach dem EuGH werde nur ein eigenes wirtschaftliches Interesse begründet, wenn der Beitritt der versicherten Person in den Versicherungsvertrag das Kriterium der Freiwilligkeit erfüllen würde. Einigkeit bestehe darin, dass dem Verbraucher eine reale Möglichkeit zustehen müsse, nicht Gruppenmitglied des Versicherungsvertrages zu werden.

Ob diese Grundsätze auch auf B2B-Sachverhalte übertragbar seien, ginge nicht eindeutig aus dem Urteil des EuGH hervor. Zwar sei nur aufgrund sprachlicher Ungenauigkeiten in der Übersetzung von Verbraucherschutz und nicht von Kundenschutz die Rede, dennoch beziehe sich der EuGH zur Begründung seiner Entscheidung mehrfach auf das Verbraucherschutzbedürfnis, weshalb Armbrüster eine Übertragbarkeit nicht ausschloss.

Daraufhin ging Armbrüster auf grenzüberschreitende Sachverhalte ein. Wie diese zu behandeln seien, hinge vom geltenden Vertragsrecht ab, das sich gem. Art. 7 Abs. 3 lit. a Rom-I-VO nach dem Belegenheitsort des Risikos richte. Ob hierbei an die Gruppenspitze oder an das Gruppenmitglied anzuknüpfen ist, sei umstritten. Um einer Zersplitterung entgegenzuwirken, sprach sich Armbrüster dafür aus, auf den Belegenheitsort nach Art. 7 Abs. 3 lit. a Rom-I-VO i.V.m. Art. 13 Nr. 13 lit. d, Nr. 14 Solvency II-RL (2009/138/EG) abzustellen.

Abschließend betonte Armbrüster erneut den Handlungsbedarf des Gesetzgebers. Es bestehe ein Bedürfnis, dass sich § 7d S. 1 VVG auf sämtliche echte Gruppenversicherungen und § 34d Abs. 1 S. 1 GewO auf Tätigkeiten der Gruppenspitze erstrecke.

Im Anschluss fanden angeregte und lebhafte Diskussionen der Teilnehmenden und Referierenden statt.

Das nächste Forum Versicherungsrecht wird am 5. September 2023 erneut im Haus der Universität in hybrider Form ausgerichtet. Hierzu möchten wir Sie herzlich einladen.

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